AGVS-Rechtsgutachten gibt Auskunft

Agenturmodelle

AGVS-Rechtsgutachten gibt Auskunft

10. April 2023 agvs-upsa.ch – Sicher ist derzeit scheinbar nur eins: Das Agenturmodell wird kommen. Bei welchen Marken, zu welchen Konditionen und was es konkret für die Händler bedeutet, dagegen nicht, und das löst intensive Diskussionen aus. Der AGVS bietet bei diesen Fragen eine wichtige Hilfestellung – beispielsweise mit einem Gutachten, das zentrale juristische Aspekte beleuchtet.

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Die Preisgestaltung im Agentursystem kann zu einem kartellrechtlichen Streitpunkt werden. Foto: Istock

srh. Die Entwicklung in der EU, vor allem in Deutschland, ist klar: Viele Hersteller, im Besonderen europäische, wollen vom bisherigen Vertragshändlermodell auf das Agenturmodell umstellen. Dies war auch am «Tag der Schweizer Garagisten» 2023 ein zentrales Thema. Zum einen berichtete die damalige ZDK-Geschäftsführerin Antje Woltermann von ihren Erfahrungen aus Deutschland und zum anderen gab AGVS-Rechtskonsulent Tobias Treyer wertvolle Einblicke aus juristischer Sicht. Gleichzeitig hatte der AGVS ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, welches das Agenturmodell aus kartellrechtlicher Sicht beleuchtet. Im Folgenden stellen die AGVS-Medien einige wichtige Erkenntnisse daraus vor.

Was ist ein Agent?
Als Agent gilt gemäss Obligationenrecht (OR), «wer die Verpflichtung übernimmt, dauernd für einen oder mehrere Auftraggeber Geschäfte zu vermitteln oder in ihrem Namen und für ihre Rechnung abzuschliessen, ohne zu den Auftraggebern in einem Arbeitsverhältnis zu stehen». Dabei wird zwischen Vermittlungs- und Abschlussagent unterschieden. Während sich ein Vermittlungsagent auf das Vermitteln des Vertragsabschlusses beschränkt, schliesst der Abschlussagent den Vertrag stellvertretend für den Auftraggeber selbst ab. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die angestrebten Agenturmodelle im KFZ-Betrieb eine Agentur im obstehenden Sinne darstellen – ein Händler schliesst für mindestens einen Hersteller in dessen Namen Geschäfte ab und stellt Rechnungen, ohne ein Angestellter des Herstellers zu sein und damit in einem Arbeitsverhältnis zu stehen. Zu berücksichtigen im Hinblick auf die Beurteilung neuer Agenturmodelle sind zudem das Kartellgesetz sowie die KFZ-Bekanntmachung,als Behörde ist die Wettbewerbskommission (Weko) hierfür in erster Linie zuständig. Ebenso klar ist, dass die Umstellung vom Vertragshändler- zum Agenturmodell kartellrechtlich zulässig ist, sofern die Systemumstellung zu angemessenen Geschäftsbedingungen erfolgt.

Was ist der Unterschied zwischen echtem und unechtem Agenten?
Wirtschaftlich ist für die Garagisten wichtig, zu verstehen, ob sie echte oder unechte Agenten sind. Dabei ist unter einem echten Agenten zu verstehen, dass dieser keine der nachfolgenden Risiken trägt (oder dies nur in unerheblichem Umfang zutrifft): vertragsspezifische Risiken, marktspezifische Investitionsrisiken und Risiken in Verbindung mit anderen verlangten Tätigkeiten, in kartellrechtlicher Hinsicht damit kein Unternehmer ist, sondern vielmehr verlängerter Arm des Herstellers. Überträgt aber der Agenturvertrag diese oben aufgeführten ­Risiken – oder auch nur einen bedeutenden Teil davon – auf den Händler, ist er in kartellrechtlicher Hinsicht ein Unternehmer, man spricht dann von einem unechten Agenten.

Was heisst das für die Hersteller?
Gemäss OR, so schreibt das Gutachten, ist der Auftraggeber verpflichtet, «alles zu tun, um dem Agenten die Ausübung einer erfolgreichen Tätigkeit zu ermöglichen». Dafür muss der Auftraggeber ihm alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Ebenso sind gemäss OR Kosten und Auslagen, die der Agent auf besondere Weisung des Auftraggebers oder als dessen Geschäftsführer ohne Auftrag auf sich genommen hat, durch den Auftraggeber zu decken – wie etwa Auslagen für Frachten und Zölle.

Das Gutachten hält ebenso fest, dass der Hersteller dem Händler jegliche Dokumente, die Marketing- und Verkaufszwecken dienen, zustellen muss. Es handelt sich hierbei um Dokumente wie Prospekte, Broschüren etc. Unter den Aspekt der Unterstützungspflicht fällt – im Sinne einer technologieneutralen Auslegung – auch die Kostenübernahme bzw. die Zurverfügungstellung der digitalen Infrastruktur. Hierbei handelt es sich um Software für Produktpräsentation und Vorführung, Internetauftritt oder Bestellungsaufnahme und -weiterleitung. Das bedeutet andererseits auch, dass der Hersteller keine Unterstützung zu leisten hat, wenn es um Kosten aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb geht. Konkret: Grundausstattung einer Werkstatt, neutrales Mobiliar sowie allgemeine digitale Büroinfrastruktur.

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Wer verkauft in Zukunft zu welchen Bedingungen und in wessen Namen Autos? Diese Frage umtreibt derzeit das Autogewerbe. Foto: Istock

Was heisst das nun kartellrechtlich?
Das wohl zentrale Thema im Zusammenhang mit dem Agenturmodell ist, ob die vom Hersteller angebotene Vergütung pro verkauftes Fahrzeug als angemessen im Sinne des Kartellrechts angesehen werden kann, die seitens des Agenten geleisteten Arbeiten und Auslagen ausreichend abgegolten werden und er eine angemessene Verdienstmöglichkeit hat. Da es den Herstellern bzw. Importeuren aufgrund ihrer Marktmacht möglich ist, die Verhandlungen zur Marge zu dominieren, besteht das Risiko, dass sie in den Verträgen unangemessene Margenregelungen festhalten. Eine allgemeine Aussage, wann eine Marge als unangemessen gilt, kann nicht gemacht werden. Jedenfalls ist eine knapp die Kosten deckende Marge als missbräuchlich zu werten.

Das Risiko einer unangemessenen Marge ist im Kontext der unechten Agentur höher, da in dieser Konstellation nicht alle wesentlichen Risiken und damit Kosten beim Hersteller verbleiben. Entsprechend muss die Marge auch die allgemeinen Vertriebskosten sowie die seitens Hersteller nicht übernommenen Risiken angemessen abdecken. Als Ausgangspunkt für die Bewertung von angemessen kann sicherlich die im Rahmen des Vertragshändlersystems erzielte Marge herangezogen werden. Kommt es durch den Wechsel zum Agenturmodell zu einer wesentlichen Veränderung des Kosten-/Margenverhältnisses, muss von einer kartellrechtlich unangemessenen Abgeltung des Agenten ausgegangen werden.

Vorsicht im unechten Agenturmodell
Wer fortan in einem unechten Agentursystem Geschäfte machen muss, hat zwei wesentliche Punkte zu beachten, die gemäss Kartellrecht unzulässig sind und Bussen von der Weko auch für den Händler zur Folge haben können. Dies betrifft zum einen die Preisbindung: Eine Preisbindung zweiter Hand liegt vor, wenn der Hersteller im unechten Agenturmodell – direkt oder indirekt – die Endkundenpreise vorgeben resp. kontrollieren möchte. Zum anderen geht es um die Marge: Diese darf vom Hersteller nicht so knapp bemessen werden, dass der Wettbewerb zwischen den unechten Agenten ausgeschaltet wird, da der Agent keinen ausreichenden Handlungsspielraum hat.

Was ist mit dem Occasionshandel?
Hinweise aus EU-Ländern zeigen, dass einzelne Hersteller am Occasionsgeschäft mitverdienen möchten. Dies kann bspw. dazu führen, dass der Agent beim Verkauf eines Neuwagens das Eintauschfahrzeug nicht zum selbst ausgehandelten Preis übernehmen kann resp. Leasingrückläufer, Werk- und Importfahrzeuge von der Verkaufsplattform des Herstellers verkauft werden. Das Occasionsgeschäft ist für Agenten eine wichtige Einnahmequelle und elementarer Bestandteil des Geschäftsmodells. Die Vorgabe eines Herstellers, dieses Geschäft komplett aufzugeben und dem Hersteller zu überlassen, stellt grundsätzlich eine Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit des Agenten dar. Das Gutachten kommt daher zum Schluss, «dass ein Verbot des Occasionsgeschäfts des Herstellers gegenüber dem Agenten kartellrechtlich problematisch anzusehen ist».

Was ist mit dem Leasinggeschäft?
Ähnlich wie beim Occasionshandel werden einzelne Hersteller auf Basis der angestrebten Agentur versuchen, das Leasinggeschäft zu kontrollieren. Hierbei gilt: Sind die Konditionen der vom Hersteller vorgegebenen Leasinggesellschaft schlechter als jene, die der unechte Agent bei der Leasinggesellschaft seiner Wahl erhält, ist die Vorgabe des Herstellers zur Zusammenarbeit mit seiner Leasinggesellschaft kartellrechtlich fragwürdig. Gemäss Gutachten dürfen die Voraussetzungen zur Zusammenarbeit mit Leasinggesellschaften nicht strukturell gewisse unechte Agenten ohne sachlichen Grund bevorzugen und andere benachteiligen.
 

Wie sollen Händler vorgehen?
Der AGVS stellt das Gutachten sowie eine Orientierungshilfe dazu auf der AGVS-Website zur Verfügung. Zudem folgen im Verlauf der nächsten Monate weitere, laufend aktualisierte Informationen in den AGVS-Medien. Der AGVS-Rechtsdienst berät die AGVS-Mitglieder, sofern das bei den – mit Sicherheit pro Marke unterschiedlich ausgestalteten – Verträgen überhaupt möglich ist. Markus ­Aegerter von der AGVS-Geschäftsleitung rät den Garagisten deshalb, sich mit ihren Fragen in erster Linie an die Markenhändlerverbände zu wenden. Diese arbeiten ebenfalls mit Juristen oder Kartellrechtsexperten zusammen und haben bei der Erstellung des Rechtsgutachtens aktiv mitgewirkt. So ist es einem Händlerverband zum Beispiel auch möglich, einen importseitig vorgelegten Vertragsentwurf in kartellrechtlicher Hinsicht prüfen zu lassen. «Ein echtes Agenturmodell kann durchaus Chancen mit sich bringen, wenn die Konditionen stimmen, bei unechten Agenturverträgen lauern jedoch kartellrechtliche Gefahren», so Aegerter weiter. «Es lohnt sich, genau hinzuschauen und sich Zeit für die nötigen Abklärungen zu nehmen, auch im Hinblick darauf, ob die Agentur betriebswirtschaftlich für den Betrieb Sinn macht. Die Garagisten und ihre Markenhändlerverbände sollten sich nicht unter Druck setzen lassen.» 

Download: Das AGVS-Rechtsgutachten zum Agenturmodell [PDF]

 
Die Autoren des Gutachtens
Zu den Autoren gehören namhafte Rechtskonsulenten wie der emeritierte Professor Roger Zäch, der ab 1986 Mitglied der Kartellkommission und von 1996 bis 2007 Vizepräsident der Nachfolgerin Weko war. Felix Schraner und Dominik Schopf sind bei Ixar Legal tätig, deren Stärken Compliance und Governance, Kartellrecht und Regulierung, Datenschutz und Technologie sowie Commercial und Contracts sind. Die Betrachtungen aus Sicht EU/Deutschland brachte Uwe Brossette von Osborne Clarke ein. Brossette ist einer der führenden Anwälte für Vertriebsrecht in Deutschland. Seit über 25 Jahren berät er namhafte Unternehmen und Verbände im Automobilsektor zu Gestaltung, Aufbau, Pflege und Fortentwicklung komplexer Vertriebssysteme. Unterstützt wurde das Rechtsgutachten überdies von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen/Geislingen.

Vorteile des echten Agentursystems:
Keine Kosten in Identifikation bei echtem Agentursystem
Keine Kosten für Lagerhaltung
Mehr Liquidität, weniger Bankzinsen
Kein Risiko für Lagerüberalterung
Entschädigung für Showroom, Miete bei echtem Agentursystem
Weniger Kosten für Demoflotte
Weniger Risiko für Überalterung der Demoflotte


Mögliche Nachteile des Agentursystems:
Höherer administrativer Aufwand
Keine freie Wahl Lager-/Demofahrzeuge
Keine freie Wahl der Leasingbank
Schwierigkeiten für Demofahrzeuge für Familienmitglieder, Kadermitarbeiter usw.
Kauf und Ablieferung verzögern sich
Kleinere unternehmerische Freiheiten
Feld für switchen des Galerietyps
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Kommentare


Aaron P. Gerber 11. April 2023 - 14:59
Ich lese über das Agenturmodell, das bald dem Endkunden beim Kauf des Autos wie ein Zwangskorsett übergestülpt werden soll. Wie erkennt ein Kunde eine "Agentur", die sich wie eine Garage präsentiert? Welche Auswirkungen hat das Agenturmodell auf den Endkunden bezüglich Preis / Eintausch / etc.=

agvs_admin 12. April 2023 - 9:18
Der Garagist als (echter) Agent schliesst im Namen des Herstellers / Importeurs Neuwagenkaufverträge mit Endkunden ab. Dabei stellt er seine Infrastruktur, seine Mitarbeitenden und sein Knowhow zur Verfügung. Für diese Dienstleistungen wird er vom Hersteller / Importeur entschädigt. Den Preis legt der Hersteller/Importeur fest. Der Kaufvertrag mit dem Endkunden kommt mit dem Hersteller / Importeur zustande. Wie mit Eintauschfahrzeugen umzugehen ist, wird im Vertrag zwischen Agenten und Herstellern/Importeuren im Detail geregelt. AGVS, Markus Aegerter